Mit jedem Zyklus wird die Angst größer, schwindet die Hoffnung und die Zuversicht. Jede sich ankündigende Blutung lässt die gute Laune für Tage im Keller spazieren gehen.
Und diese Katastrophe wiederholt sich Monat für Monat. Will es mit dem Wunschkind gar nicht mehr klappen? Wieso klappt es bei uns nicht? Alle anderen werden schwanger! Manchmal sogar ungeplant und ungewollt.
Die ganze Welt scheint nur noch aus Babybäuchen und verzückten Jungmüttern zu bestehen, die stolz ihren Nachwuchs im Kinderwagen vor sich her schieben.
Selbstzweifel kommen auf, du stellst dich und deine Weiblichkeit in Frage. Die Angst kriecht in dir hoch, nie schwanger werden zu können.
Irgendwann führt dich dein Kinderwunsch zum Frauenarzt. Dann lässt dein Partner sich untersuchen. Oft werden hier aber nur kleine Einschränkungen der Fruchtbarkeit gefunden. Immerhin, obwohl: gäbe es einen eindeutigen Grund, wüsste man , wo man dran wäre. So heißt es also weiter „üben“.
Irgendwann besteht dein Leben nur noch aus dem Kinderwunsch: die fruchtbaren Tage werden mit einer APP berechnet, spontanes romantisches Zusammensein findet kaum noch statt. Jedes Medikament, und sei es nur eine Kopfschmerztablette, wird darauf hin geprüft, ob es dem Kinderwunsch schadet oder unschädlich ist.
Der Blick wird eng, fokussiert auf das Wunschkind. Und die Stimmung immer trüber, Monat für Monat…
Der Kinderwunsch, der Traum von einer Familie, der euer Glück krönen sollte, wird, zumindest phasenweise, zum Alptraum. Diese Belastung für die Psyche und eure Beziehung wird häufig unterschätzt.
Hoffnung und Enttäuschung wechseln sich ab, und das im 28-Tage-Rhythmus. Das geht nicht unbeeindruckt an deinem Seelenleben vorbei. Selten wird man auf diese Belastung vorbereitet.
Ganz besonders heftige Bauchschmerzen bekomme ich immer, wenn mir Patientinnen sagen, das zukünftige Kinderzimmer sei schon fertig eingerichtet. Wenn das keinen Druck macht, dann weiß ich es nicht. Macht doch einen Raum für euer Hobby draus, einen Ort, wo ihr euch gerne aufhaltet. Wenn du schwanger bist, kannst du daraus immer noch ein Kinderzimmer machen! Und dein Kind bekommt ein Zimmer, in dem du schon schöne Stunden verbracht hast.
Ernste Anzeichen für seelische Nöte
Eine erfolglose Kinderwunschbehandlung kommt einer schweren emotionalen Niederlage gleich, eine Kränkung für das Selbstwertgefühl. Und jede Kränkung bohrt sich ein bisschen tiefer in die Seele. Die Kraft schwindet, die Psyche leidet In manchen Fällen stellen sich depressive Symptome ein. Ja, richtig gelesen: depressive Symptome. Bei unerfülltem Kinderwunsch mit hohem Leidensdruck kannst du depressiv werden. Mit den entsprechenden Folgen bis hin zur fachärztlichen Behandlung der Depression bis hin zur Psychopharmakatherapie.
Was sind Symptome für eine Depression?
- wenn du keinen Spaß mehr am Leben hast
- die Gedanken nur im den Kinderwunsch kreisen
- wenn du lustlos bist
- wenn jede kleine Aufgabe eine Belastung ist
- wenn dich alles ungeheuer anstrengt
- wenn du morgens am liebsten gar nicht aufstehen würdest
Bist du an diesem Punkt angekommen, brauchst du dringend Hilfe und eine Pause. Denn sonst wird es ernst!
Pausen sind wichtig
Deshalb ist es ganz wichtig, ab und an mal Pause vom Kinderwunsch zu machen. Und als Paar mal wieder Kraft zu schöpfen, Sex nicht nur nach der Eisprungs-App sondern nach eigenem Verlangen zu haben. Sich auch mal ein „ungesundes Essen“ zu erlauben, oder ein Glas Wein bei einem romantischen Abendessen zu zweit. Oder ein Urlaub, bei dem das Thema Kinderwunsch mal Pause hat. Zeiten, in denen es um dich und deinen Partner geht, wo ihr auftanken könnt.
In der Klinik, in der ich meine Ausbildung zur Reproduktionsmedizinerin (Fachärztin für Kinderwunsch) gemacht habe, war es üblich, nach jedem Behandlungszyklus zwei Zyklen zu pausieren zu lassen. Es gab erst mal keinen neuen Behandlungsplanfür den nächsten Zyklus. Da habe ich nicht selten so manche heftige Diskussion geführt, diese „Zwangspausen“ waren nicht sehr beliebt. Aber sehr wirkungsvoll: die Paare wussten, in zwei Monaten geht es weiter, im Moment können wir nicht tun. Diese Entspannung hat oft zu einem spontanen Schwangerschaftseintritt geführt.
Teile deine Gefühle mit
Und rede, besonders du als Frau, über deine Gefühle! Sperre die Enttäuschungen nicht in deine Seele ein und gib dich nach außen unbeeindruckt. Du musst dich ja nicht gleich der ganzen Welt mitteilen, aber zumindest dein Partner sollte wissen, wie es um dich steht. Sonst versteht er gelegentlich die Welt nicht mehr und kann deine Reaktionen nicht einordnen. Glaube mir, auch an den Männern geht der unerfüllte Kinderwunsch nicht unbeeindruckt vorüber. Es kratzt ganz schön am seinem Selbstbewusstsein, dass du von ihm nicht schwanger wirst. Aber darüber wird er selten von sich aus reden. Und wenn du dann noch „komisch“ reagierst, wird die Verunsicherung nicht kleiner.
Gemeinsam könnt ihr dann auch klären, wie wichtig der Kinderwunsch für jeden von euch ist. Was ihr euch an Therapien vorstellen könnt, was nicht, wo sind eure Grenzen. Wollt ihr eine Therapie machen, wenn ja, wie lang, wann setzt ihr einen Schlusspunkt?
Wie wäre es mit einem Plan B?
Wenn alle Bemühungen nicht fruchten habt ihr einen Plan B? Nein, nicht ein mürrisches „Dann muss es halt ohne Kind gehen“, sondern etwas, was auch seine Reiz hat: eine tolle Reise, die ihr schon immer machen wolltet, eine neue berufliche Herausforderung, die wegen des Kinderwunsches erst mal auf die lange Bank geschoben wurde? Vielleicht kommt sogar eine Adoption in Frage, oder eine Patenschaft?
Plan B ist umstritten, die einen meinen, er lenke vom eigentlichen Ziel ab, die anderen sind da nicht so streng.
Bei einem so emotionalen und manchmal unberechenbaren Ziel wie dem Wunschkind habe ich die Erfahrung gemacht, dass es für viele Patientinnen eine Entlastung war, einen Plan B zu haben. Die Entscheidung dafür oder dagegen triffst du und dein Partner.
Sich Unterstützung suchen
Wenn du frühzeitig vorbeugen möchtest, mache ab und an mal Pausen vom Kinderwunsch, um Kraft zu schöpfen. Vertraute Gesprächen mit dem Partner oder einer guten Freundin stabilisieren ebenfalls.
Doch oft ist das nicht möglich. Kinderwunsch ist immer noch ein Thema mit vielen persönlichen Kränkungen, auch wenn das Verständnis und die Akzeptanz in den letzten 20 Jahren deutlich besser geworden sind. Dafür gibt es mehr und neue Möglichkeiten, die ihrerseits wieder neuen Druck produzieren.
In meiner Zeit in der Kinderwunschklinik habe ich den Paaren oft geraten, sich psychologische Unterstützung zu holen. Und oft auf Granit gebissen. Unerfüllter Kinderwunsch ist schon ein Stigma für die Patienten, und dann soll ich auch noch zum Nervenarzt? Das ist für viele wie zweimal den Stempel „ungenügend“ aufgedrückt zu bekommen. Dabei ist beides heute deutlich besser akzeptiert. Und sich Unterstützung zu holen, Tipps und Tricks gezeigt zu bekommen, wie die Seele bei dieser Belastung im Gleichgewicht bleibt, spricht doch für den Menschen, der bereit ist, Hilfe anzunehmen als gegen ihn. Oft kommt da so viel auf dich zu, das stemmst du leichter mit etwas Unterstützung. Und an der Belastung des Kinderwunsches und der Behandlung habe ich auch schon Beziehungen zerbrechen sehen.
Und wenn nur noch mal die Therapie in Ruhe erklärt wird, man mal kurz über seine Ängste sprechen kann, das hilft schon enorm. Oft fehlt da aber der entsprechende Ansprechpartner. Auch bei mir in der Praxis kommt die seelische Seite, bei allem Bemühen, oft noch zu kurz. Der Terminkalender ist oft so voll, das dafür kaum Raum bleibt.
Deshalb kam mir die Idee mit der Kinderwunschberatung, die das seelische Gleichgewicht mit in die Beratung einbezieht. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Mitgestaltung der Chancen durch eine entsprechende Lebensgestaltung, bei der der Spaß nicht zu kurz kommt. Und viele Informationen über die Therapiemöglichkeiten, um sich bei der Behandlung nicht ausgeliefert zu fühlen, helfen ebenfalls.
Egal, wo du dir Hilfe suchst, suche dir jemand, der fachlich sowohl etwas von Kinderwunschtherapie als auch von Psychotherapie versteht, sonst besteht die Gefahr, dass ihr aneinander vorbei redet.
Ich wünsche dir viel Erfolg!